DIOSES / GÖTTER / GODS – Ein Film von Josué Méndez, Peru

Anmerkungen des Regisseurs

MOTIVATION

Einen Film über ein Geschwisterpaar aus der peruanischen Oberschicht zu machen, hat mich schon vor meinem ersten langen Spielfilm DIAS DE SANTIAGO (2004) gereizt. Ich selbst hatte eine sehr privilegierte Kindheit und fühlte mich immer als Zeuge einer Realität, in die ich irgendwie hinein geraten war und die ich eigentlich nicht als die meine empfand. Das gibt mir nun die Gelegenheit, über diese Welt Dinge von innen heraus zu erzählen. Meine Erfahrungen mit DIAS DE SANTIAGO auf vielen Festivals haben mir deutlich gemacht, wie Lateinamerika und unsere Filme von einem internationalen Publikum wahrgenommen werden. Das hat mich endgültig davon überzeugt, diesen Film zu drehen.

Ich denke, es gibt einen weißen Fleck in Hinblick auf eine visuelle Darstellung ohne Klichees oder Stereotype dieser sozialen Gruppe, der peruanischen Oberschicht. Der Großteil der lateinamerikanischen Filme, die international in die Kinos kommen, handelt von dem genauen Gegenteil dieser Realität: von den armen und marginalisierten Gesellschaftsschichten. Dies war auch der Fall bei DIAS DE SANTIAGO. Aber unsere Realität ist wesentlich facettenreicher, und ich halte es für genauso wichtig und dringend, die andere Seite, die Welt der Mächtigen zu zeigen.

HINTERGRUND

Peru ist ein Land, in dem kein Dialog stattfindet. Unsere Gesellschaft kennt sich weder selbst noch versteht sie sich. Vor allem akzeptiert sie sich selbst nicht. Die Oberschicht in Peru war und ist bis heute nicht bereit, ihrer politischen und sozialen Verantwortung nachzukommen. Es handelt sich um eine Gruppe von Menschen, die beschlossen haben, den enormen sozialen Problemen des Landes gleichgültig gegenüber zu stehen. Sie schaffen sich lieber ihr „eigenes“ Land und schotten sich vom Rest der Bevölkerung ab. Auf diesen isolierten Inseln ziehen sie dann ihre Kinder in Sicherheit auf. Die ungleichen sozialen Strukturen, die im Land herrschen, verteidigen sie im eigenen Interesse. Sie sind Außenseiter, weil sie es so wollen. Darin genau besteht die Ironie und die große Tragik dieser Gesellschaftsschicht. Peru ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch moralisch ein armes Land. Das ist der thematische Ausgangspunkt für GÖTTER und der Ausgangspunkt für die filmische Erforschung dieser sozialen Gruppe. Ziel ist es, ihre Welt bildlich zu erfassen, zu analysieren und zu verstehen sowie Fragen aufzuwerfen.

DIE FILMISCHE ERZÄHLUNG

Für mich ist die Familie der Beginn und das Ende aller Erzählungen. Die Familie ist der Mikrokosmos, der die Welt repräsentiert. Ihre Darstellung war schon immer der beste Weg, eine Zeitepoche, eine soziale Gruppe, einen Ort zu untersuchen. Daher ist GÖTTER als Studie einer Familie konzipiert, einer dysfunktionalen Familie zwar, aber immerhin einer Familie. Am Beispiel der Mitglieder dieser Familie und deren Beziehungen untereinander wird sich die filmische Erzählung mit den Themen auseinandersetzen, die ich als Autor und Filmemacher behandeln möchte.

In GÖTTER haben wir es mit Figuren zu tun, die in ihrem Verhalten und ihren Gedanken Ausdruck ihrer Umgebung sind. Sie sind Figuren, die aus einer Art von Mythologie zu kommen scheinen und die in einer Welt leben, in der alle Phantasien und Wünsche erfüllt werden können. Sie haben für sich selbst eine privilegierte soziale Struktur geschaffen, die auf Herkunft, Macht und Geld aufgebaut ist. Die größte Ironie liegt jedoch darin, dass sie in Peru leben, einem Land, das gekennzeichnet ist von Armut und sozialer Ungerechtigkeit, wohin man auch sieht. Es sei denn, man hat beschlossen, nirgendwo hin zu sehen.

Aber da gibt es andere Figuren, die die Ironie auf die Spitze treiben: die Dienstboten oder Hausangestellten bzw. das Verhältnis der reichen Leute zu ihnen. Hier zeigt sich das völlige Fehlen eines Dialogs zwischen den sozialen Gruppen. Gleichzeitig kämpft die Oberschicht um die Wahrung des äußeren Scheins, während das übrige Land zu kollabieren droht.

Eine weitere „Figur“ in dem Film ist der Schauplatz des Geschehens: Lima. Aber ein „anderes“ Lima. Nicht das Lima von DIAS DE SANTIAGO oder das Lima, das wir normalerweise sehen, wenn wir die Straßen der Stadt entlang gehen. Es geht um das exlusive Lima, das Lima, das für die große Mehrheit des Landes verbotenes Terrain ist. Ein Lima, das sich selbst schützt, das Angst hat, das niemandem traut, nichts toleriert, ein Lima, das sich freiwillig ausschließt.

FILMISCHE HERANGEHENSWEISE

DIOSES ist ein mehrstimmiger, „choraler“ Film. Die vier Protagonisten sind alle gleichermaßen wichtig für seine Struktur. Diego und Elisa sind vielschichtiger angelegt und möglicherweise auch spannender für das Publikum. Und doch könnten sie sich ohne Andrea und Martin, die die Ereignisse vorantreiben, nicht so entwickeln wie sie es tun.

DIOSES ist ein kontemplativer Film. Es geht nicht darum, sich in eine Figur hineinzuversetzen, sich mit ihr zu identifizieren und die Erfahrungen, die diese Figur macht, gleichsam „mitzuerleben“, so wie ich es in DIAS DE SANTIAGO intendiert habe. In GÖTTER möchte ich, dass sich die Kamera und die Zuschauer als distanzierte Beobachter der Ereignisse sehen. Es ist wie ein Besuch im Zoo. Man beobachtet diese Wesen im Umgang miteinander, man sieht, wie sie sich lieben und verletzen, wie sie in Probleme geraten und diese immer so lösen, als wären sie meilenweit vom Rest der Menschheit entfernt. Durch diese Distanz folgt die Kamera nicht nur der filmischen Erzählung und den Protagonisten, sondern eröffnet den Blick auf den Hintergrund, den Subtext des Films. Auf diese Weise legt sie die eigentlichen Probleme der peruanischen Gesellschaft offen: die soziale Ungerechtigkeit und alle anderen bereits erwähnten Aspekte.

Wie schon in DIAS DE SANTIAGO weist auch GÖTTER einige melodramatische Elemente auf. Da gibt es Familiengeheimnisse und manche werden aufgedeckt, wir erleben emotionale Exzesse, das Leugnen der Realität etc. Ebenso wie in DIAS DE SANTIAGO wollen wir diese melodramatischen Elemente auch in GÖTTER zeigen, ohne jedoch jemals die Verbindung zu der Welt, die ich portraitiere, zu kappen. GÖTTER ist ein Film über ein Land, in dem kein Dialog stattfindet. Genau aus diesem Grund werden wir viele Dialoge drehen. Wie kann man Dialog in einem Film drehen, in dem es genau um das Fehlen von Dialog in der Gesellschaft geht, die portraitiert wird? Das ist tatsächlich eine interessante Herausforderung. Der Dialog wird immer wieder ein dekoratives Element im Film sein, genauso wie ein eleganter Wohnraum oder ein schönes Bild und wird ebenso behandelt werden. An den Stellen, an denen der Dialog allerdings eine entscheidende Rolle spielt, werde ich mit einer distanzierten, kalten, niemals konventionellen Filmsprache arbeiten.

Ich werde – gerade bei den Dialogszenen - so weit wie möglich auf Schuss / Gegenschussaufnahmen verzichten. Meine Idee ist es, in jeder Szene eine Figur oder ein erzählerisches Element auszuwählen und bei ihr/bei ihm die ganze Szene über zu verbleiben. Das führt zu einer Verringerung des melodramatischen Aspekts der Szene und ermöglicht mir, die Themen, die mir wichtig sind, herauszuarbeiten und den Subtext klarzumachen. Unter der Oberfläche liegt nämlich ein sehr wichtiger Subtext, die Welt der Dienstboten und die Dinge, die unausgesprochen bleiben. Statt die Personen vor der Kamera zu positionieren und zu beobachten, werde ich daher meistens zeigen, was dahinter oder daneben passiert, während wir den Gesprächen zuhören.

DER KREATIVE PROZESS DES FILMEMACHENS

Beim Filmemachen schätze ich vor allem den kreativen Prozess. Das heißt, dass sich das Drehbuch entwickeln und weiter ausformen kann, einige ältere Ideen wieder aufgenommen und neue gesucht werden. Das ist eine Suche, die nicht endet, bevor der Film fertig geschnitten ist. Es geht um die Suche nach dem besten Weg, meine Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen. Diese Suche bezieht sich nicht nur auf mich, sondern schließt auch die Schauspieler, das Kamerateam, die Ausstatter und den/die Cutter/in mit ein. Im Verlauf dieser Suche versuche ich dem Film eine universelle Bedeutung zu geben.

Unser Ziel ist, die Ideen auf sehr filmische Weise auszudrücken und die Kraft der Bilder weitestgehend auszunutzen. Manchmal ist es schwierig, diese Elemente in einem Drehbuch aufzunehmen, denn ein Drehbuch ist eher literarisch, als filmisch angelegt. In DIAS DE SANTIAGO gibt es viele Beispiele, bei denen wir die filmische Ausdrucksform im kreativen Prozess gefunden haben, der auf das Schreiben des Drehbuchs folgte. Meiner Meinung nach ist das Schreiben des Drehbuchs der am wenigsten filmische Teil des kreativen Prozesses. Ich denke, hier ist es wichtiger, die Ideen klarzumachen, die ich vermitteln will, als die filmischen Mittel, die ich verwenden möchte. Das ist zumindest meine Arbeitsmethode.


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